Renate Folkers www.renatefolkers.de lebte mehr als fünfzig Jahr in Husum in Nordfriesland. Heute wohnt sie im Norden von Hannover. Sie ist seit Herbst 2017 bei den Calenberger Autoren. 2009 begann sie zu schreiben mit dem Ziel ihr „Leben aufzuräumen“ und fand Gefallen an der Schreiberei. Mittlerweile hat sie einige Bücher veröffentlicht (s. Veröffentlichungen). Renate Folkers bietet neben Lesungen aus ihren Kriminalromanen thematische Lesungen an. (Von Liebe und anderen Katastrophen, Der Wind erzählt ein Lied, Weißt du noch?, auch Lesungen auf Plattdeutsch oder Lesungen mit Musik). Anfragen können gerichtet werden an folkers.renate@gmail.com
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MEIN KLEINES DORF oder Wenn die Küste deine Welt ist
Ein letztes Mal fahre ich mit dem Bus nach Hause in mein kleines Dorf. Raus aus der Stadt, vorbei an der Schule, am Supermarkt und an der Siedlung, in der früher Flüchtlinge aus den deutschen Ostgebieten untergebracht waren. Heute stehen die Häuser leer und die Fenster gaffen einen an, als wollten sie sagen: „Schickt uns endlich die Abrissbirne. Wir haben unsere Schuldigkeit getan, verschandeln nur die Landschaft“.
Recht haben sie. Nach einigen Bauernhöfen am Stadtrand und der Reithalle in Schobüll folgt meine Haltestelle. Ich steige aus. Es ist Spätnachmittag. Die Sonne hat sich durch die Wolken gekämpft, ihre Strahlen erzeugen ein Glitzern auf dem Meer. Die Wellen blinken, als wollten sie mir ein fröhliches „Auf Wiedersehen“ herüberwinken. Ich heule Rotz und Wasser. Mir ist, als würde die alte Weltenseele mir einen geliebten Menschen entreißen. Wie ein Stück eigenes Sterben fühlt es sich an. Mein Magen krampft. WAS ist los?
Ich selbst traf die Entscheidung, mein kleines Dorf an der Küste einzutauschen für ein Leben mit einem Mann in einer anderen Stadt, einer anderen Welt! Treffe ich auf das, was ich mir erträumte, wofür ich dieses alles hergebe? Warum tut es so weh? Du glaubst, du hältst den Schmerz nicht aus, denkst nicht an das Schöne, das vor dir liegt, weswegen du das alles machst.
Ich verspreche hoch und heilig bei meiner Nordsee, bei dem rauen Wind, den ich so liebe und den fetten Weiden mit ihren Schafen und Kühen darauf, dass es kein Abschied für immer sein wird. Ich werde zurückkehren, für Tage, vielleicht für Wochen, werde meinen Hafen anschauen und ins Meer spucken. Ich werde durch die kleinen Gassen gehen und die Rehe im Wald besuchen und natürlich das Kirchlein am Meer. Und nirgendwo auf der Welt ist es schöner als hier. Schon gar nicht in der neuen Welt!
Das Wetter gibt sein bestes. Der Fußweg führt mich vorbei an Gärten, in denen rosa Röschen ihre geöffneten Blüten der Sonne entgegenrecken. Der Lavendel übertrifft sich selbst. Stolz, in seinem allerschönsten Lila, überragt er die Rosen und wiegt sich im Rhythmus des lauen Sommerwindes. Einige Dutzend Hummeln laben sich an seinen Blüten und weiße Schmetterlinge lassen sich hier und da auf der üppigen Farbenpracht nieder. Die Sonne lässt das Meer in seinem schönsten Blau erscheinen. Eine Landzunge am Horizont scheint sich ein Stück weit aus dem Meer zu erheben. Ein harmonisches Schauspiel der Natur. Und ICH mitten drin.
Ich gehe ins Haus. Kein Medium brüllt mir entgegen, keine Nachrichten zerstören das Idyll. In der großen Diele nehme ich Platz in einem Sessel vor dem Kamin und schaue in den Garten. Auf dem Rasen lange Schatten der Bäume aus dem Nachbargarten. Dahinter Krüppelkiefern, gerade noch angestrahlt vom Licht der sich neigenden Sonne und zwischen ihnen feist und prachtvoll der Dachstuhl eines neu errichteten Hauses, von dem der Wind das fröhliche Gehämmer eines Handwerkers herüberträgt. Eines Tages werden glückliche Menschen in dieses Haus einziehen. Glücklich, einander gefunden zu haben. Wahrscheinlich werden sie dieses schöne Fleckchen Erde niemals verlassen. Und ich? Habe ich meine Seele verhökert? Gehen oder bleiben?
Ich geh ... hier nicht weg! Und doch ging ich fort!
Über ein Jahrzehnt lebte ich an einem Ort, fernab von der geliebten Heimat ohne jemals ein Teil dieser Welt geworden zu sein. Eines Tages hielt es die ausgehungerte Seele nicht mehr aus. Sie ging in die Weigerung und wurde krank. Der Verstand klagte an und der Kopf schlug Alarm.
In einer Welt, so wenig geborgen, Der wache Blick, der sieht nach vorn, Ich bin die, die den Schalter nicht fand Ich bau eine Mauer um mich zu schützen, | Ich hätte mich gerne mal fallen gelassen Aber Wunschdenken ist naiv Doch das Zerplatzen Es gab keine Scherben Ich bin ich Mit dieser Erkenntnis endlich dann |
* * * * *
Schmetterlingsreigen
Durch den Wald ging ich hinab an den Strand,
spürte deutlich schon die kleine Hand
von innen her in meinem Leib,
damals gingen wir zu zweit.
Es war ganz still, kein Möwengeschrei.
Plötzlich mein greller Hilfeschrei
zerriss die Stille, der Sand färbte sich rot
das kleine Leben in mir, es war tot!
Nun lausche ich der Stille allein,
ich denk an Dich, und tauche ein
in Deine Welt, du bist so nah,
und so wie damals – wieder da.
Und so beisammen hören wir dann
der Vogelstimmen vertrauten Klang.
Wie viele Stunden ich so verweile,
ich weiß es nicht, ich hab keine Eile.
Kleine Hand in meiner Hand,
du bist bei mir aus dem Niemandsland.
Ich bin bei Dir,
im Jetzt und Hier.
Die Nachtigall beginnt zu singen.
Mir ist, als würde ich dich umschlingen
in einer Weise, die mir so vertraut,
unendlich leise, kein bisschen laut.
Umwoben von Liebesgedanken nur,
wie Träume an einer Perlenschnur
lass’ ich mich ein, fühl mich geborgen,
in dieser Welt braucht es kein morgen.
Plötzlich vernehme ich fröhliches Geigen,
Du tanzt dazu im Schmetterlingsreigen
den Tanz der Freiheit, befreit von Schmerz.
Nun weiß ich’ s: Dir geht es gut, mein Herz.
Die Geige schweigt, die Träume entschweben,
ich bin umgeben von stillem Leben,
atme die Stille und Gedanken verloren
fühle ich mich wie neu geboren.
Und so getröstet bin ich unsäglich stark,
geh langsam heim durch unseren Park.
Nehme Dich mit, den Schmerz lass ich hier
und weiß es genau: Du bleibst immer in mir.
* * * * * *
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