Dem Strand zu Füßen liegt das Meer
Dem Strand zu Füßen liegt das Meer
Da fallen die Wellen übereinander her
Die Sonne prahlt von überall mit Licht
Ganz heiß und hell lässt sie uns grüßen
Die Menschen liegen dicht an dicht
Als würden Badetücher sprießen
wird der Strand laufend neu kartiert
Ein Chaos menschlichen Gewimmels
Das sich wie der Sand stets neu formiert
Im Schatten sind´s fast dreißig Grad
Der Mensch ergötzt sich am Getümmel
Es fehlt nicht viel, bis irgendwas
Sich gleich auch noch von selbst entzündet
Drum nimmt ein jeder mal ein Bad
Wirft sich – platsch – ins begehrte Nass
Wo die Frisur sich neu erfindet
Dem Strand zu Füßen liegt das Meer
Ein Oberteil liegt herrenlos und leer
In grellem Pink auf hellem Sand
Sein Gegenteil prahlt nah dabei
Ein Mann bemüht sich um Verstand
Doch die Hormone dominant
Macht sich Verstand davon und frei
Gedanken blühen, stolpern, lenken
Und die, die denken nichts dabei
Sie sieht erschrocken was er denkt
Und appelliert: besinn er sich!
Sein Geist inzwischen erodiert
Was viel zu nah ihn zu ihr drängt
Er lässt nicht nach, er übertreibt
Weshalb ihr nichts anderes übrigbleibt
Dem Strand zu Füßen liegt das Meer
ein Mann liegt frisch gestreckt am Strand
In hellem Blass
auf hellem Sand
Verlorene Spiele
Ein Rotkehlchen spielte einst mit einer Katze,
es trällerte im Anflug nahe dem Gras,
entflog dann ganz knapp nur der Tatze.
Immer wieder
und wieder
erzählt davon nun die Katze
Atomstrompreise gefallen und fallen in die engere Wahl,
beschönigt und um die Zukunft gemindert. Es ist uns egal.
Castoren verbergen bedrückend ehrlich Endlichkeit:
Für fünfhundert Generation versteckte Verstrahlung.
Vergeblich verfängt sich darin die Frage, die stetig auch Klage:
Reicht dies nicht als Mahnung?
Ein erschrecktes Gefühl übt sich an Zeit.
Unvorstellbares sucht ein gültiges Maß.
Übt sich an einer Bombe, die tickt
immer wieder
und wieder
ein Gefühl, das erschrickt.
Ich verstehe uns Rotkehlchen nicht.
Die Angst vor dem weißen Blatt
Seit Monaten fällt es mir schwer, Worte in irgendeine Logik aneinanderzureihen oder auch nur in einer Folge konsequenter Unlogik etwas Inhalt zu geben. Die Worte selbst wollen nicht entstehen, nicht mal ziellos in einem kleinen Kreis einen Wirbel erzeugen und deshalb wird nichts erwähnenswert. Und doch gibt es Versuche, untaugliche Versuche: Da sind Anfänge von Geschichten, die beim Versuch sich fortzusetzen, mir selbst im Halse stecken bleiben. Keine Tastatur scheint geeignet, weitere Buchstaben einzufangen, sie zu zähmen und mit ihnen durch Feld und Flur zu jagen. Was sollte das werden? Frage ich mich und lese diese Anfänge, die wenigen Worte wieder und wieder. Und noch einmal und noch einmal und noch einmal und dann endlich lege ich auch diesen Versuch ab. Nicht unter einem Titel wie sonst, sondern nur unter „Texte“ und versehe die Datei mit Datum. Das ist alles. Irgendwie schwingt die Hoffnung mit, dass bald, an einem Tag wie gestern, der auch nicht erwähnenswert war, der Anfang eine Fortsetzung findet, Sinn vielleicht, Freude es vorzutragen, ein Ende gar.
In meinem Kopf ist es wie in einem großen Haus mit vielen Zimmern. Ich öffne nacheinander alle Türen und in jedem Zimmer ist etwas, das mich bewegt, mich berührt: ein Einblick in Schubladen. In einem anderen Zimmer eine schrille Tapete mit wiederbelebten Mustern aus den Siebzigern, übergroße Amöben verteilen sich in regelmäßigen Reihen alle Wände hoch. Hinter einer anderen Tür nichts als Ausblick. Als wäre ich in einem Aquarium stoße ich immer wieder an die Wände aus Glas. Dahinter das sich drehende Universum, ein Berg, eine zwitschernde Amsel am frühen Morgen. Ich gehe weiter und verweile Tage lang in Zimmern, die aufdringlich einfarbig sind. Ein strahlendes grün scheint sich mit den Stunden selbst über zu sein. Im Zimmer nebenan blau, an den Wänden wandeln Schönwetterwolken, die von seichten Winden zu verwehen scheinen. Es folgen lila, ein unnachgiebiges gelb, prall prahlend, dann ein schwarzes Zimmer, in dem sich wie bei Michael Endes „Unendliche Geschichte“ das tiefe Schwarz immer mehr in sich zu vertiefen und in ein großes, alles auflösendes Nichts zu verwandeln scheint. Die nächsten Türen sind zur oberen Hälfte geöffnet, museal anmutende Möbel, Schilder auf den Tischen, mit wer und wann. Dahinter mit jedem Schritt erzitternde Balkone, die scheinbar bewusst nicht einladend wirken und für sich sein wollen. Bei Regen sowieso und da draußen regnet es immer. Immer gleicher Regen, Bindfäden sammeln sich in seichten Pfützen, zerfließen in den Rissen im Boden. Gleichzeitig triefen aus der Sonne rote dicke Tropfen und irgendwoher ist ein Zischen zu hören, als wäre ein riesiger glühender Stein in das Steinhuder Meer gefallen. Da draußen sieht man das plötzliche Aufsteigen dichten Nebels, dessen Tropfen seitlich, beinah horizontal an die Scheiben schlagen, die vibrieren und stoßen ein sssssssssitt aus. Mit jedem Tropfen ein sssssssssitt mehr, die Abstände werden kürzer, der horizontale Aufschlag auf die Scheiben unerträglich. Ich gehe weiter auf den Flur zu, wo ich ein großzügiges Treppenhaus mit halbrund nach unten sich wendendem Geländer erwarte und Stuck an den Decken. Nein, keine Treppe, nur eine Taste, darauf ein Pfeil nach unten. Keine Tür zu sehen.
So wie diese Möglichkeit - denn was ist, drücke ich diese Taste? - also so wie diese Möglichkeit, so unwirklich, so unrealistisch, so fremd, so waren all die Zimmer, deren Türen ich in den letzten Monaten öffnete. Überall wirkte etwas von mir und doch auch nichts, immer zu wenig, zu wenig, um sich daran festzuhalten, sich damit aufzuhalten, zu wenig Bezug.
Zu wenig Bezug zu mir, zu der Welt, zu wenig dazwischen, kein Zwischenspiel, kein Spielraum.
In dem Augenblick als mein Daumen die Taste mit dem Pfeil berührt und beinah auch gedrückt hätte, da raschelt es rechts von mir. Ein Zettel, eine Einladung vom 14. Mai 2018 segelt von der Decke herab langsam zu Boden. Ich lasse von der Taste ab und bücke mich nach dem Zettel. Die Einladung habe ich gleich wiedererkannt. Sie selbst war unverändert und an sich nichts Besonderes. Aber oben rechts auf ihr stehen drei Worte, die ich in den Tagen nach dem 14. Mai darauf geschrieben hatte. Da steht „Porträt, Claqueure, Licht“. Langsam sinke ich auf diese Worte starrend zusammen wie ein Taschenmesser in die Hocke. Vor mir die Taste an der Wand verblasst zusehends, bis nichts mehr da ist, nur noch eine Wand, die wie eine Wand aussehen kann, aussieht. Nichtssagend steht sie vor mir, der aus der Hocke heraus die Wand mit den Augen danach absucht, ob sie vielleicht doch etwas verbirgt, etwas in sich trägt, das sie mir offenbaren möchte. Wie in den Zimmern zuvor schaue ich lange und jeden Quadratzentimeter mit den Augen abtastend und prüfend mal neugierig, mal ermüdet, mal angespannt, mal zuzwinkernd hin. Aber da ist nichts, nur Wand und jetzt noch dieser Zettel in meiner rechten Hand. Ich schaue nicht auf den Zettel aber ich weiß, die Worte sind genau da, genau auf diesem Papier: „Porträt, Claqueure, Licht“. Es wird einen Grund gegeben haben, dass ich diese Worte notierte. Daraus sollte etwas werden, ein Text, ein Gedicht vielleicht. Ich stehe auf und gehe den Weg, den ich durch die vielen Zimmer gekommen war zurück. In einem Raum meine ich eine alte Schreibmaschine gesehen zu haben. Sie war schwarz, mit silbern umrandeten Buchstaben und einem breiten Wagen, der bereit war, viel auszuhalten.
Fünf vor zwölf
Um fünf vor zwölf sind die Uhren stehen geblieben
Es eilten die Blicke zu den Weltzeituhren
Und sie erlaubten keine Zeitkorrekturen
Weltweit wurde fünf vor zwölf beschieden
Gemeinsam beschrieben Sie die Ziele konkret
Beschrieben wie man es angeht
Die Zeit festzuhalten, wie man die Zeit zurückgedreht
Noch wäre Zeit und es noch nicht zu spät
Sie reden gegen den Uhrzeigersinn
Vereint wollen Sie die Zeit anhalten
Ein wenig Umwelt den Menschen erhalten
doch jene hören und sehen nicht hin
Um fünf vor zwölf, weltweit exakt zu dieser Zeit
wurde diese vielen schnell Vergangenheit
Weil Zeit nicht still steht, einfach weiter eilt
das ist im Sekundentakt geeichte Sicherheit
Wo Bulldozer in Massen stationiert
Wo Paläste wachsen mit Palmölplantagen
Ist eine große Sanduhr installiert
Da wird Leben um Leben zu Grabe getragen
Ein letzter Atem – Zug
Weiß, der gefrorene Nebel
Der Zweige kalt umschließt
Grau, die verklärte Seele
Ein Tumor, der an ihr frisst
Rot, wie bemalte Fassade
Leuchtende Himmel flehen
Farblos passierte gerade
Von vielen Augen gesehen
Im wirren Spiel keiner Farbe
Etwas das tödlich beinah
Sprachlos zittern die Zweige
Die sich nach Sonne so sehnen
Wortkarg denkst du vermeide
Das blühende Treiben der Tränen
Stumm jubelt ein Bild in der Szene
Die sich noch stärker vereint
Wortreich ist ihre Häme
Wo sich das Böse mit Bösen vereint
Bejubelt wird auf den Gängen
In den Blüten, die man sich warf
Ein Galgen mit schönen Gesängen
Ansonsten gibt man sich brav
Die Gruppe genießt es zu warten
Für sie blüht ein herrlicher Garten
Sind alle bei Namen bekannt
Dein Name aber, nur der wird genannt
Unter der Brücke am Bahndamm
Eilende reisen in Zügen
Andere nur irgendwann
Einfach so zum Vergnügen
Scheinbar wie Kometen durchs All
Auf der Brücke vereint sich im Nebel
Unfreies Atmen mit unfreiem Fall
Begleitet vom Beifall des Pöbel
Ein Sturz, ein Fall, vielleicht ein Flug
Ein letzter Atem
Zug
Pegida oder Ronnys Weg aus der Einsamkeit
An irgendeinem Sonntag, der so wie viele Sonntage war, trist und, davon war Ronny überzeugt, zum Glück schnell ein Tag „von gestern“ wurde, passierte es wieder. Mit Sandra war er inzwischen schon über drei Jahre zusammen und hoffte inständig, ihre Sicht auf diese Sonntage wäre die gleiche wie seine: diese Tage sind Vergangenheit. Mehr nicht und basta.
Bis vor wenigen Wochen hatte er das, was Sandra bedrückte nie wirklich ernst genommen und auch nicht, dass es da schon seit langem etwas geben könnte, das mit ihm zu habe. Er sah sich als normal. Als Mann als normalster Mann und hatte auch keine Veranlassung daran zu zweifeln, aber seit einigen Wochen trieben seine Gedanken scheinbar völlig ungebremst immer wieder auf das Thema zu.
An wie vielen Sonntagen hatte Sandra ihn im frühen Dämmerlicht im Bett so angesehen, als wollte sie ihm schon vor seinen wenigen Liebkosungen sagen, „wenn du es ernst meinst, O.k. Wenn nein, dann lasse es doch bitte gleich“. Er wusste es nicht, gezählt hatte er ja nicht, aber es waren inzwischen viele Sonntage gewesen. Während er sich ganz ernsthaft vormachte und auch überzeugt davon war, Sie zu stimulieren und sie zu befriedigen, wusste er doch sehr genau, es ging um seine Befriedigung, es ging um ihn. Dafür wollte er sich auch die nötige Zeit nehmen, daran sollte es nun wirklich nicht scheitern, dachte er. „Zeit haben wir ja genug“ lächelte er die Wand an und suchte den Wecker. Ja, er schaute mit der ersten kleinen Liebkosung zur Uhr, immer wieder prüfend zur Uhr. Dann aus dem Fenster, dann in ihr Gesicht. Er sah, sie ist nicht bei der Sache. Sollte er abbrechen? Aber wie würde ihm das wieder ausgelegt werden? Er konnte es nicht einschätzen. „Brich die Aktion ab“, sagte es in seinem Innern, derweil er weiter sein Becken monoton vor und zurück bewegte. Immer wieder der kontrollierende Blick zur Uhr und plötzlich „Befreiung, das Leben so nah am Tod“ waren Worte, die er sich erdachte, nur um irgendwas zu sich zu sagen zu können, das ihm zur Situation passend schien. Er ordnete dem Sex zwischen sich und Sandra das Wort „Akt“ zu. Damit machte er Sexualität zu einer Art Formalie und stellte für sich klar, dass es dabei nur um sein Sexualleben ging, nicht um ein gemeinsames. Zu Sandra sagte er schon lange nichts mehr, auch nicht nach dem Sex. „Und was ist schon Zeit?“ warf er lautlos in den Raum und von einem lauten Seufzer begleitet sich selbst zurück in die Kissen.
„Zwei Minuten 14“ hörte Ronny Sandras Stimme tonlos sagen und wusste, er hatte die Zeit zu nehmen vergessen. Gesprochen hatten sie aber noch nie darüber, geschweige denn verabredet, mal die Zeit zu stoppen. Ab wann überhaupt sollte man die Zeit nehmen? Ganz ohne Vorbereitung geht es ja nun mal nicht, überlegte Ronny.
Er dachte, es ist egal was ich denke, warf ihr während er das Bettzeug mit hastigem Schwung zurückwarf einen vorwurfsvollen Blick zu, zog sich an und verlies eilig die Wohnung, das Haus, am liebsten die Stadt und das Land. Raus, er nahm seinen alten Golf und fuhr an die Elbe. Es war kalt. Er dachte daran, wie es im Sommer hier ist: Boote mit Touristen fahren auf und ab. Millionen von Fotografien jeden Tag. Milliarden Pixel sammeln sich in einem Nichts in einer Plastikkiste und werden nie wieder gesehen. Aber heute ist Anfang Dezember, es ist kein Boot zu sehen, keine Touristen, nur Kevin zwischen Maulwurfhaufen im satten Grün der Uferböschung. „PC müsste PK heißen: Plastikkiste“ schrie er den in seiner Phantasie auf der Elbe fahrenden Schiffen entgegen. Den hübschen Joggerinnen aus der kalten Wirklichkeit warf er wütende Blicke entgegen, wobei er dachte, dass er auf sie wütend wirken musste. Die Joggerinnen sahen ihn gar nicht. Die wollten laufen, sonst nichts. Die Sonne blinzelte durch die Bäume und rief den Villen am Ufer zu: Guten Morgen! Nach und nach gingen die Rollos hoch, am Ufer gingen Liebespaare eng verschlungen mit Brötchen-Tüten mal in den Kapuzenmützen oder von zwei sich suchenden Händen gehalten und überall dieses Rascheln im Rhythmus der Schritte.
Er sah die Männer an, die ihm allesamt zufrieden und glücklich erschienen. Andere hätte er jetzt auch gar nicht gesehen, und rief jedem mit diesem Sandra-Blick zu „zwei Minuten 14“ und nickte ein „ja“ hinterher und ging weiter. Das Rascheln der Papiertüte mit den Brötchen verstummte meist einen Augenblick, dann verständnisloses Abwinken und wieder rhythmisches Rascheln.
Dann weitere Fluchtversuche mit dem Auto. Nach Stunden zielloser Fahrt war er wieder zu Haus angekommen, legte die Brötchen, es muss inzwischen schon um die Mittagszeit gewesen sein, auf das Schränkchen im Flur und rief von da aus ins Bad hinein: „Hast Du schon Kaffee gekocht? Ich habe Brötchen mitgebracht und einen Croissant für Dich Scha-atz“. Aus dem Wohnzimmer erwiderte eine kalte Stimme kurz „nein.“
Der Rest des Tages stures Blicken geradeaus in den Fernseher, zwischendurch Fastfood und irgendwann Umsteigen ins Bett. 23 Uhr, das war Sandras Zeit, dann schlief sie fast immer tief und fest. Ronny wartete noch einige Minuten und schlich sich dann leis in sein Arbeitszimmer. Zuerst verdunkelte er das Zimmer. Es sollte kein Blick von außen auf das was er tun wollte möglich sein. Danach Einschalten des PC und ein Spiel Solitär nach dem nächsten.
Als er die Worte „vorzeitige Ejakulation“, die Sandra Ronny an jenem Tag als einzige Worte beim Frühstück zuwarf in der Nacht ganz vorsichtig und leise den Tasten zuordnete war es kurz nach drei Uhr früh. Egal, was er darüber las, all das konnte nicht die Wahrheit sein. Wenn doch, dann läge es nur an ihm. Aber das wäre keine Feststellung, die irgendwie helfen konnte, da war er sich sicher. Nach der Arbeit am Montag fiel er mit einem Schritt aus dem Bürogebäude direkt in die Demonstration der Pegida-Bewegung. „Lügenpresse, Lügenpresse“ und andere Parolen bestätigten seine Annahme, dass auch Suchmaschinen nichts anderes als die Ansammlung von Artikeln der Lügenpresse sind und bestätigten ihn, in seiner Meinung, nämlich, dass mit ihm alles in bester Ordnung ist.
Bei der nächsten Montagsdemo hatte er geradeheraus andere Männer befragt, ob sie schon was davon gehört hätten, also von der vorzeitigen Ejakulation und erhielt für seinen Humor, wie den anderen seine Frage erschien, lauten Beifall, Schulterklopfen und Wahrnehmung. Das war der größte Mangel: wahrgenommen werden, irgendwie mittendrinn sein, irgendwie noch leben außerhalb von Fernsehen und Fastfood-Ketten.
Er hatte Freunde gefunden. „Alles meine Freunde!“ rief er Sandra zu, die es nach Ronnys Erzählungen „endlich darf man wieder sagen, was man denkt“ dann auch vom Sofa riss und die es inzwischen auch „irgendwie cool“ fand, mit so einer Masse mitzugehen. Was Klaus denkt, das wusste sie aber immer noch nicht. Und dennoch waren die Montage eine Erlösung, ein Weg weg von der Sprachlosigkeit.
Bilder ohne Ausstellung
Ein Maler zeichnet auf Papier
Des Lebens werdendes Verwesen
Die Bilder sind sehr ausdrucksstark
Sind nicht en vogue, nicht nachgefragt
Drum schreib ich drüber … hier zu lesen:
(erstes Bild) Mehrweglagerer
Mit Bedacht verstauen wir Plastikflaschen
Zum Receyclen in extragroßen Plastiktaschen
Auch jede Gelegenheit mal zu naschen
Ist mehrfach umverpackt
Verpackungsmüll wird später dann
In Nanogröße klein zerhackt
Und kehrt alsbald schon irgendwann
Zu uns zurück im Wasser in den Plastikflaschen
Das so bedingt nur reingewaschen
Und geht direkt ins Blut
Ach, geht es uns gut!
Grund genug sich mit Süßigkeiten zu belohnen
Die, wie gesagt, irgendwo im Plastik wohnen
Wir nehmen sie aus Kunststofftüten
Auch manchmal solche zum Verhüten
Ach, geht es uns gut!
Und der, der es aufzeichnet, zurechtrückt, zerschneidet, in ein Bildnis schmückt
Mal ganz ehrlich, wer ist hier verrückt?
(zweites Bild) Zeitverschwenkt
Wir strahlen was aus, denken wir an Grohnde und das Ass von allen Ässen
Wo an Fässern prall gefüllt sich die Zeiten wie besessen durchgefressen
Die Mehrheit, zu ihrem Anteil daran mal befragt, sagt, sie wär es nicht gewesen
Verantwortung ist eine Krankheit, von der sehr viele schnell genesen
Die Asse steht als Synonym dafür wie wir das Leben leben
Der Mensch erfährt sich, entfernt sich, blendet ein und blendet aus
Gerad so, wie er es braucht und glaubt nichts könne ihm das Schweben nehmen
Ach, geht es uns gut!
Und der, der es aufzeichnet, zurechtrückt, zerschneidet, in ein Bildnis schmückt
Mal ganz ehrlich, wer ist hier verrückt?
(drittes Bild) Natürlich natürlich
Wilde Bienen, haben Sie das gewusst, gibt es auch
Die bestäuben Blüte für Blüte nach höherem Plan wie nebenbei
Wilde Bienen, wissen Sie auch dies, Sterben aus
Die menschliche Natur macht sich von Schönheit und Vielfalt ganz frei
Der Bienenstich, der sticht dich nicht
Das Blütenmeer in Feld und Flur
Ist nicht mehr da
Du denkst „Natur“
Pflückst du nicht mehr am Wegesrand
Was früher dort noch prall mal stand
Und kaufst den Strauß aus Afrika
Und Afrika – weiß jedes Kind – Afrika ist wunderbar
Ach geht es uns gut!
(viertes Bild) Aus den Augen, aus dem Sinn
In der Dritten Welt verklappt Europa sein vergängliches Glück
Elektroschrott brennt in Ghana, Kinder mühen sich um jedes Stück
Unter Einsatz ihrer Leben frönt dort der Tod
Unendliche Not verdampft sich im Abendrot
Zeichnet da ein ungewohntes Bild der Unterwelt
Aus der Distanz werden Werte völlig ungeniert
Schamlos um alles Menschliche reduziert
Nur weil Vermögen sich nicht ziert, nach mehr, noch mehr und mehr Geld
giert
Ach geht es uns gut!
(fünftes Bild) Erfahren in fernen Umlaufbahnen
Einschaltquoten beherrschen die Welt
Menschen beherrschen die Einschaltquoten
Sehnsucht erfüllt gehorsam abendfüllende Zoten
In ihrer Einfalt beständig gefordert
Wurde längst das Bezahlfernsehen geordert
Schalten ein, um abzuschalten
Verwalten das Sein im Innehalten
…
Ein Seufzer denkt, ach wär´s nur das
Na, das ist doch was!
(sechstes Bild) Hilfe, nicht immer ein Trost
Entwicklungshilfe ist oft von teuflischer Gestalt
Industrien helfen manches Mal mit Waffengewalt
Oder vermarkten diese, wo die Welt scheinbar ohne Orientierung
Ganz selbstlos als Erhöhung, als Sublimierung
So in die Zukunft gesehen
Von Kleinaktionär zu Kleinaktionär
Schaut jeder für sich und vor allem, wie die Aktien stehen
Wer erwartet noch mehr
Ach geht es uns gut!
(siebtes und letztes Bild) Im Stimmengewirr der Äußerlichkeiten
Der Konsument geht auf im Trend
Von Castinshow zu Casting-„Schau“
Nicht vergessen: Bauer sucht Frau
Von da nach dort, man rennt und rennt
Ohne die blasseste Ahnung, ohne jede Gegenwehr
Dem letzten Schrei gern hinterher
Wir könnten´s besser wissen
Da hinter den Kulissen
Kennt man ihr Psychogram
Man mutet Ihnen zu, was man Ihnen zumuten kann
Die Werbung und Sie, alles ferngesteuert
Seichte Kost mal wieder wieder mal gekäuert
Weil die Masse sich Bequemlichkeiten hemmungslos verschreibt
wird so Zeitvertreib an Zeitvertreib zum Zeitvertreib endlos aneinanderreiht
Wir haben es ja, wir zahlen so gern
Und reisen gern auch bildungsfern
Nicht weiter als zum Horizont
Man weiß ja nie, wer da noch wohnt
Und der, der es aufzeichnet, zurechtrückt, zerschneidet, in ein Bildnis schmückt
Mal ganz ehrlich, wer ist hier verrückt?
Der Künstler meint er wär verrückt
Nimmt er die Zeit, die einfach tickt
Zum Zeitvertreib in sein Geschick
Und malt sie aus mit Gegenwart
Ja, das ist hart
Und ganz ehrlich, diese Bilder, die Schilder sind
Die sind noch nicht gemalt
Weil niemand dafür bezahlt
Niemand sieht den Aufschrei, die Wut
Ach, geht es uns gut!
Die Zeit erfindet
Sie feilt am Teint Vergangenheit
Kosmetik korrigiert die Narben
Malt dass Ich in schöneren Farben
Wer war schon tadellos in all der Zeit?
Von der Wahrheit ist niemand besessen
In einem Karton, im Keller verborgen
Nie gesucht und doch nicht vergessen
Schlummert versteckt die Angst vor dem Morgen
Liegt da wie in hundertjährigem Schlaf
Erträgt sich verängstigt, es darf niemand wissen
Ein Gesicht sucht nachts Schutz in den Kissen
Die Zeit ist die Macht, die für immer versklavt
Was damals war, wer in wessen Gestalt
In jeder Nacht, in der Dunkelheit
Liegt stundenlang wach die Vergangenheit
Ein bebendes Flüstern spricht von Gewalt
Ach, die Zeit heilt alle Wunden
Wie der Volksmund sagt
Ein Täter schweigt über jene Stunden
Sein Lebenslauf tadellos prahlt
Wie viel wird vergessen, verschwiegen?
Wie viel gibt man jäh von sich preis?
Wie vieles ist konstruiert, sind Lügen?
Wer bist du wirklich, wer weiß?
In einer Bad Bank gesammelt: das Schweigen
Outgesourcet das Vergessen, Verdrängen
Weit weg in der Ferne tanzt ein Reigen
Wo Fassaden sich mit dem Dunklen vermengen
Die Zeit erfindet dein Ich täglich neu
Du reformierst stets dein Verhalten
Die Schleier, wie Nebel aber bleiben Dir treu
Die die Zweifel und Lügen verwalten
Abwartend
grabe ich im Garten mit dem Spaten ein Loch.
Ich untergrabe die schweren Wunden der Zeit
und grabe und grabe verschiedene Gänge noch.
In deren Finsternis ist die Leere so weit
Ich verscharre da meinen Anteil der Schuld:
den Feinstaub, das Plastik, das tote Insekt.
Ein jeder gräbt deshalb mit gleicher Geduld
für sein schlechtes Gewissen ein gutes Versteck.
Statt dieser Art kollektivem Totalversagen,
gilt es zu tun: sofort, nachhaltig und konsequent.
Noch nicht zu spät, andere Wege zu wagen!
Die Masse aber lebt wie gewohnt so ungehemmt,
bemerkt nicht, dass wir längst die Welt zu Grabe tragen,
nicht die nahenden Fluten, nicht, dass der Himmel brennt.